Entwicklungstrauma beim Hund durch Überforderung
Unsere Welt ist ziemlich anstrengend geworden. Wir Menschen entwickeln uns rasant weiter, nebenbei scheinen wir verlernt zu haben uns selbst und jene, die um uns sind zu verstehen.
Gehen wir davon aus das ein Hund in einer Umgebung aufwächst, in der er immer wieder oder ständig keine Sicherheit spürt, weil er sich missverstanden fühlt. Er steht dadurch unter permanentem Stress und hat gezwungenen Maßen die Aufgabe, sich mit diversen Umständen zu arrangieren. Je nachdem wie belastend und angsteinflößend diese Umstände sind, hat die Biologie ähnlich wie bei uns Menschen Lösungsstrategien parat, um das Anpassen und Überleben zu sichern.
Um ein vielleicht merkwürdiges oder auffälliges Verhalten bei Hunden zu verstehen, lohnt es sich vier Bewältigungsstrategien und deren Unterschiede anzuschauen.
Strategie 1 – Kämpfen (aggressives Verhalten)
Wenn ein Hund in einer ängstigenden Atmosphäre lebt und in die Kampfstrategie fällt, dann sieht das häufig wie ein Wutanfall aus, ausgelöst durch oft banale Alltagssituationen. Der Hund wird meistens im ersten Schritt laut oder renitent und trägt im nächsten Schritt seine Angst in Form der Aggression nach außen.
Häufig höre ich den Satz eines betroffenen Hundebesitzers:“ Das geht so schnell und dann hilft nichts mehr. Oder: “ Er schnappt oder beißt völlig grundlos zu und wenn ich eingreife, kann sich das auch gegen mich richten“. Schon mal gehört oder erlebt? Dann wissen Sie wovon hier die Rede ist. Je länger dieser Zustand anhält, desto häufiger etablieren sich aggressive Verhaltensmuster und weiten sich nicht selten auf unterschiedliche Kontexte aus. Rein biologisch betrachtet wird Energie mobilisiert um Situationen, Eindrücke und Umstände abzuwehren. So gesehen eine nützliche und wohlwollende Strategie. Die besonders bei sehr feinen Hunden anzutreffen ist.
Strategie 2 – Flucht
Wenn ein Hund ausgelöst durch eine ängstigende Situation in eine Fluchtreaktion hineingerät, dann kann das unterschiedlich aussehen. Eine Variante ist der Rückzug. Als Versuch einer bestimmten Situation zu entfliehen, in der die Spannung hoch ist. Auch ein Weglaufen von der Bezugsperson ist nicht selten. Ein „sich entfernen“ und auf etwas anderes orientieren, kann ein kompensatorischer Versuch sein sich dem aktuellen Kontakt zu entziehen. Diese Strategie beobachte ich häufig bei Hunden, die überfordert mit ihrer Bezugsperson sind, weil ihre Anliegen und Bedürfnisse nicht gesehen und gehört werden. Vieles geschieht seitens uns Menschen unbewusst, denn wer möchte seinen Hund absichtlich überfordern – keiner 😉.
Strategie 3 – Erstarrungsreaktion
In der Erstarrungsreaktion können wir beobachten, dass Hunde auf emotionale Zuwendung und Ansprache taub werden. Das Nervensystem führt einen shut down aus, um sich nicht mit der erlebbaren Situation auseinanderzusetzen. Diese Hunde gehen komplett aus der Verbindung zur Außenwelt und verharren, geläufiger unter dem Begriff des Tunnelns. Auch ein Verteidigungsschlaf (wenn ich schlafe, habe ich meine Ruhe), gehört zu dieser Überlebensstrategie. Die ganze Angst und Not entlädt sich hier in die Starre, weshalb diese Form lediglich eine Überlebensstrategie und keine Lösung ist. Immer wieder zu beobachten bei Hunden die aus dem Ausland zu uns gebracht werden, sogenannte Straßenhunde. Manchen dieser Hunde ist unser wohlgemeintes Überschütten von Zuwendung, dazu die neue Lebensform einfach fremd und erzeugt Angst.
Strategie 4 – sich verstellen, anbiedern (aufdrängen, einschmeicheln)
Die vierte Strategie ist die am häufigsten unbemerkt und verkannte Bewältigungsstrategie des Hundes und kann als Überlebensstrategie auf der Suche nach Sicherheit und Bindung verstanden werden. Hunde lernen sich zu verstellen und an das Stress auslösende Umfeld anzupassen, um Sicherheit und Orientierung in größter Unsicherheit zu generieren. Dies geschieht, wenn wir Menschen in einer Art und Weise mit Hunden umgehen, in der sie sich bedroht (überfordert), vernachlässigt oder verlassen fühlen, während sie von uns abhängig sind. Wir sprechen hier von einem Entwicklungstrauma, das bereits in den ersten Lebenswochen beim Züchter, in den Anfängen nach der Adoption geschehen kann und auch nach einem Besitzerwechsel im erwachsenen Alter. Da ist etwas geschehen was tief prägt und sozusagen in Fleisch und Blut übergegangen ist. Der Hund hat gelernt das er Sicherheit, Klarheit und die verbindende Orientierung nur dann aufrechterhalten kann, wenn er sich energiegeladen verstellt. So hat er früh gelernt das es gefährlich ist hündisch zu sein und verstellt sich zugunsten des Menschen, was eine starke Konsequenz auf die Entwicklung der Persönlichkeit hat. Diese Konsequenz zieht sich wie ein roter Faden durch alle Beziehungen, in die der Hund gerät.
Vielleicht haben Sie Ihren Hund beim Lesen einordnen können und fragen sich jetzt was Sie tun können, um Ihrem Hund zu helfen. Und wenn Sie sich diese Frage stellen, sind Sie einen wertvollen Schritt weiter. Bei Hunden, die mit einer Bewältigungsstrategie durch den Alltag laufen ist der erste wichtige Schritt das Erkennen das es so ist. Der zweite Schritt kann ein Trauma sensibles Training sein, in dem der Hund die Möglichkeit bekommt, sein Nervensystem zu harmonisieren. Und wenn wir uns die Strategien noch einmal reflektieren, fällt auf, es sind die Gleichen, in die Menschen geraten können. Seit meinen Fortbildungen in Trauma sensiblem Coaching und Training, erreichen mich immer wieder Menschen die, wenn wir genauer hinschauen, eine ähnliche Vergangenheit haben wie ihr Hund. So dass es manchmal einen gemeinsamen Raum braucht, in dem jeder für sich sein Nervensystem in Balance bringen darf, bevor es kraftvoll und mutig weiter geht, 😉.